ORDINARY CITIZEN
ORDINARY CITIZEN
Performance
Trailer
Die Ukraine bietet russischen Soldaten, die sich ergeben, die Kriegsgefangenschaft an. Dort lebt man deutlich besser als an der Front, vor allem lebt man. Ob die Männer hier sich ergeben haben oder gefangengenommen wurden, wissen wir nicht. Einer von ihnen, Andrey, war Elektromechaniker. Dass er einmal Soldat werden würde, hätte er früher nie gedacht. Über das rote Kreuz bekommt er Post, in der er von seinen Söhnen liest: Der eine will Pilot werden, der andere entdeckt gerade Schach und Ballett für sich.
Fragt man ihn nach den Gründen für den Krieg, erzählt er nonchalant von einer geheimen Weltregierung, die erst mittels Corona und jetzt mittels Krieg Populationskontrolle betreibe. 80% seiner Mitgefangenen haben einen Knacks, schätzt er, sich selbst zählt er mit. Zum ersten Mal bemerkt habe er das, als er nach Monaten im Krieg beim Töten plötzlich Freude empfunden habe.
Hrytsyuk konfrontiert die Männer immer wieder mit dem unfassbaren Leid, das der russische Krieg über die Ukraine hat hereinbrechen lassen. Die Soldaten versichern, dass sie sich nicht als Besatzer wahrnehmen; im Donbas und in Luhansk habe man sie als Befreier begrüßt – wie begrüßt man auch sonst Bewaffnete, wenn man überleben will?
Was hier aufrichtig gesprochen ist und was nicht, ist kaum zu entziffern. Dass die Männer mit der Aussicht, wieder nach Russland heimzukehren, nicht vor laufender Kamera Putin verurteilen, leuchtet ein. Bei allem Sprechen gelten Vorsicht, Selbstbetrug, Traumata, Abwehr- und Verdrängungsmechanismen. Einige bekunden auch ganz offen, dass sie wieder in den Krieg ziehen würden, andere verweigern Gefangenenaustausche aus Angst davor, wieder verheizt zu werden.
ORDINARY CITIZEN zeigt uns zerstörte Körper und Seelen, Überzeugungstäter und verwirrte Jugendliche. Und immer wieder hören wirdavon, dass sie „irgendwie“ in diesen Krieg geraten seien. So, wie der Krieg in einzelne Gemetzel zerfällt, zerfallen Soldatenhorden in diesem Film wieder in unmittelbare Begegnungen mit Menschen - und in ein lähmend ungenügendes „Irgendwie“.
Text: Tim Abele
FR 07.11. I 18:30 I KAMMERBÜHNE I OmeU + dt. Übersetzung
SA 08.11. I 18:00 I GLAD-HOUSE I OmeU + dt. Übersetzung
Kornii Hrytsiuk
Maskym Savchenko
Kornii Hrytsiuk - Kornii Hrytsiuk ist ein ukrainischer Filmregisseur und Drehbuchautor. Er ist Autor der Dokumentarfilme „Zinema“ (2024), „EuroDonbas“ (2023), „The Train: Kyiv – War“ (2020) und des ersten ukrainischen Mockumentary-Films in Spielfilmlänge „20/20 Deserted Country“ (2018). Er hat an vielen internationalen Filmfestivals teilgenommen, darunter Hot Docs (Kanada), Odesa International Film Festival, Molodist (Ukraine), FilmFestival Cottbus (Deutschland), Watch docs (Polen), Fantasporto (Portugal) und Moldox (Moldawien).